Neuer stil mit respekt...

 

Sasso delle Undici - im Sommer 1986 eine neue Perspektive?

Die Idee, eine Sportroute im Gebirge freikletternd von unten zu erschließen und mit Bohrhaken abzusichern, war nichts neues. Martin Scheel hatte diesen Stil schon im Rätikon praktiziert. In den Dolomiten war es aber eine Neuheit. Ich wählte dafür eine Wand,die keine History hatte, wo es keinen Stil zu respektieren gab. In der Ostwand des Sasso delle Undici gab es noch keine Route und sie war perfekt, um gegen meine eigenen Regeln zu verstoßen. Ich war immer gegen Bohrhaken im Gebirge gewesen, konnte mich aber mit dem Gedanken anfreunden, einige sorgfältig ausgewählte Zonen als Ausnahme zu betrachten.

Es blieb bei dieser einen Route, “Tempi Modernissimi”. Es war ein interessantes Erlebnis und die reine Kletterschwierigkeit übertraf alles, was ich bisher in den Dolomiten gemacht hatte. Ich musste mir aber auch eingestehen, dass es “umständliches Sportklettern” war und mit klassischem Dolomitenklettern nichts zu tun hatte. Es war mir auch klar, dass man mit diesem Stil alles machen konnte, dass es in Richtung “Mord am Unmöglichen” ging, wie es Reinhold Messner so treffend ausgedrückt hatte. Ich war nach wie vor überzeugt, dass wirkliche Evolution nur durch den Verzicht auf Bohrhaken möglich war.

Leider hat die allgemeine Entwicklung hat einen anderen Weg eingeschlagen.  Der Bohrhaken wird längst nicht mehr diskutiert und bedenkenlos überall eingesetzt. Es ist sogar schon normal geworden, Gebirgsrouten von oben zu preparieren und einzuüben. Man geht nicht mehr zum Einstieg, sondern zum Ausstieg, um sich über die Route abzuseilen und sie für die Rotpunkt-Begehung herzurichten.

Das einstige Wertesystem ist durch ein neues ersetzt worden und alles was Gebirgsklettern früher ausgemacht hatte, ist bedeutungslos geworden. Heute dreht sich alles um Supergrade, um Schlagzeilen und Medieninteresse. Die Kletterwelt ist dadurch nicht interessanter geworden. Ganz im Gegenteil, als Insider muss ich sagen, dass mich die Aktivitäten der Public/Media-Kletterer viel weniger interessieren, als die Grassroots-Bewegung. Es gibt nichts schöneres als die Begeisterung unbeeinflusster und in der Öffentlichkeit unbedeutender Kletterer, die ausschließlich für sich selber klettern.

Das Establishment wird immer versuchen zu bestimmen, aber man kann hoffen, dass es immer einige Außenseiter und Rebellen geben wird, die versuchen werden anders zu sein.

Auf die rosa Hose und Tanktop bin ich natürlich nicht stolz. Wer sich dem “Pussyklettern” hingibt, scheint die Kontrolle über den eigenen Geschmack zu verlieren.

Zurück in die Steinzeit?

Zweiundzwanzig Jahre später kehrten wir zum Sasso delle Undici zurück. Meine Form war weit unter dem Niveau von 1986, aber gut genug für klassisches Klettern. Ich hatte mich an einen Versuch mit Reinhard Schiestl in den Siebziger-Jahren erinnert. Wir waren an einem Überhang gescheitert. Mangelnde Entschlossenheit, um mit fragwürdiger Sicherung ins Ungewisse zu klettern, hatte uns umkehren lassen. Im Vergleich zur Marmolada schien mir diese kleine Wand ohnehin bedeutungslos und ich hatte wenig Lust für einen weiteren Versuch. Reinhard hatte es später noch einmal mit einem anderen Partner versucht, war aber nicht viel weiter gekommen.

Was mich in neueren Zeiten an dieser Linie reizte, war die Vorstellung, nach “Tempi Modernissimi” (die 1986 Fortschritt symbolisierte), mit einer klassischen und bohrhakenfreien Linie die Möglichkeit einer umgekehrten Evolution aufzuzeigen. Noch dazu war es interessant, herauszufinden, ob ich noch fähig war, so wie früher zu klettern. Ich hatte kein Problem, den Umkehrpunkt der Siebziger-Jahre auf Anhieb zu überklettern. Zumindest hatte ich den Umgang mit schlechter Absicherung nicht ganz verlernt und die Form war nach all den Sportkletter-Jahren auch im fortgeschrittenen Alter immer noch besser als in meiner Jugendzeit. Der Rest der Route war interessant, nichts großartiges, es machte aber richtig Spaß frei und locker in unbekanntes Gelände zu klettern.

 

Das Ende Des abenteuers bedeutet
Das Ende Der Freiheit

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